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Vom Leben mit der Maxhütte

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Markus Grünthaler

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Konverter (Voest Alpine)

Konverter (Voest Alpine)

Wenn ich mal im schreiben bin, dann geht es halt manchmal mit mir durch, und ich vergesse Zeit und Raum und fühle mich wieder in die alte Zeit zurückversetzt. Nicht nur in die Zeit in der Hütte, nein, auch die Jahre meiner Kindheit und meiner Jugend ziehen dann vor meinem geistigen Auge vorbei. Daß ich in die Hütte kam war fast zwangläufig und lag schon in den der frühsten Kindheit begründet.

Ich kam auf die Welt und SIE stand schon da.

Wohin Du auch gegangen bist, was immer Du getan hast als Kind, überall war "Maxhütte". In der Familie, im Kindergarten oder in der Volksschule, alles war irgendwie nach ihr ausgerichtet. Wenn die Väter zweite Schicht hatten, wurdest Du von Mutter aus dem Kindergarten abgeholt, hatten sie Nachtschicht, war es in manchen Straßen und Vierteln in der Stadt fast still und menschenleer. Man konnte es an den geschlossenen Fensterläden sehen, welche Straßenseite was für eine Schicht hatte und wehe, es wurde Lärm gemacht. Als Kinder mußten wir dann besonders in den Ferien darauf Rücksicht nehmen. Das hat unsere Achtung vor der Arbeit und der Leistung anderer geprägt. Dann wichen wir eben aus und gingen auf unseren Spielplatz, der wiederum Maxhütte hieß.

Schlackenberg, Rangierfeld mit Dampfloks oder stundenlanges Verharren vor dem alten Stahlwerk, durch dessen viele Fensteröffnungen man dem Wechselspiel der sechs alten kleinen Konverter zusehen konnte. Oft vergaßen wir darüber die Zeit, und es gab dicken Ärger zuhause, wenn man nicht pünktlich zum Mittagessen da war, was übrigens immer erst nach zwei Uhr eingenommen wurde, denn da kam Großvater aus der Frühschicht heim!

Wenn er dann nicht so müde war, haben wir mit ihm immer einen Spaziergang auf das Kriegerdenkmal gemacht und haben uns dann wieder lange die Werksanlagen angesehen und uns jeden Vorgang, der sich dort unten abspielte, von ihm genauestens erklären lassen. Wenn wir besonders gebettelt haben, sind wir auch mal nachts auf das Denkmal gegangen - das konnte man damals noch ohne Gefahr zu laufen, mit einem Messer bedroht zu werden - und haben sehnsüchtig auf den Schlackensturz gewartet.

Dieser Augenblick und dieser Anblick hat sich in unsere Gedanken eingebrannt und es läßt sich mit Worten kaum beschreiben. Da standen wir, mein Opa und ich, den ich an der Hand hielt, und betrachteten schweigend dieses einmalige Schauspiel von Licht und Feuer.

In diesem Moment war ich sehr stolz auf ihn und blickte ehrfürchtig zu ihm auf. Dann konnte man seine Augen glänzen sehen, und manchmal glaube ich war auch eine Träne dabei. Er dachte bestimmt an seine schwere Arbeit auf der Gichtbühne und an seine Heimat, aus der er vertrieben wurde und die er nie vergessen hat.

Das Lichtschauspiel, das sich vor unseren Augen abspielte, war mein täglicher Begleiter in meinem Leben, von Kindesbeinen an bis 2001, bis zu jenem Tag an dem es für immer erloschen ist. Es war sehr eindrucksvoll, wenn mitten in stockdunkler Nacht plötzlich der Stadtteil Rosenberg in fast taghelles rötliches Licht getaucht wurde, das für ca. ein bis zwei Minuten anhielt. Besonders im Winter und vor allen Dingen um die Weihnachtszeit war es besonders ergreifend. Wenn überall die Christbäume brannten und in den Fenstern Kerzen standen, dann hatte der Schnee ein wunderschönes, vom Glitzern abertausender kleiner Sterne verwandeltes Aussehen. Schneeweiß und doch fast rosarot, ein eigenartiges Licht. Man konnte es in der Stadt überall sehen und kilometerweit über die Stadtgrenzen hinaus. Es war wie ein kurzes aber intensives, sich ständig wiederholendes Wahrzeichen. Als noch das alte Stahlwerk in Betrieb war, konnte man diesen Vorgang sehr oft beobachten. Irgendein Konverter war immer am blasen, und es wurde auch immer einer von der Schlacke abgestochen. Die Schlackentransporter waren ständig im Einsatz.

Wenn ein Konverter seinen fertigen Rohstahl abstach, konnte man das von außen gut sehen, und das ganze Stahlwerkgebäude sah aus, als würde es in Flammen stehen.

Noch gigantischer war der eigentliche Blasvorgang. Damals gab es noch keine Entstaubungsanlagen, und das Feuer schlug aus den relativ niedrigen Konverterhaubenkaminen meterhoch in den Himmel, verbunden mit einer orangegelben Rauchwolke. Wenn man nah genug am Stahlwerkgleis stand, konnte man sogar die Wärme des Feuers spüren und hörte den Eisenstaub herabrieseln, sehr zum Leidwesen aller Hausfrauen in der Stadt und besonders derer in Rosenberg, denn dann konnten sie ihre frischgewaschene Wäsche nochmal waschen.

Meine Oma ging immer erst mit einem Lappen hinaus, um die Wäscheleinen vor dem Aufhängen der Wäsche sauber zu machen. Genutzt hat es freilich nicht viel. In Rosenberg wurde oft nach der Windrichtung gewaschen. Stand der Wind günstig, hing man die Wäsche draußen auf, wenn nicht, dann stand der Wäschetrockner in der Küche oder die Leinen wurden im Bad gespannt.

Es war eine wunderschöne Kinderzeit, gerade auch wegen dieser einprägenden Erlebnisse.

Als im Jahre 1975 die erste noch heute stehende Reingasfackel in Betrieb ging, haben wir direkt etwas vermißt und das spektakuläre war nicht mehr so vorhanden. Wir waren fast ein bißchen traurig darüber, obwohl alle froh waren, daß jetzt der gröbste Schmutz und Dreck der Vergangenheit angehörte, besonders meine Oma denn die mußte die Wäsche jetzt nur einmal waschen.

Allerdings erhielt die Hütte ein neues Aussehen, das sie bis zum heutigen Tag beibehalten hat. Jetzt wurde neben der Ofensilhouette auch die Reihe der Stahlwerkstürme zum neuen Wahrzeichen unserer Stadt. Man wußte zwar jetzt auch noch wann ein Konverter eine neue Charge erblies, es war aber weniger eindrucksvoll und ging ruhiger und sauberer vonstatten, hat aber auf eine andere Art und Weise trotzdem fasziniert!

Wir hatten als Kinder niemals Langeweile, und unsere Erlebniswelt war jeden Tag voll von neuen und fesselnden Eindrücken. Wir haben die Stahlindustrie fast spielerisch kennengelernt und konnten schon als Kinder die einzelnen Werksteile benennen und wußten schon sehr viel von den Produktionsabläufen im Inneren der großen Hütte. Wir wuchsen mit den hüttenspezifischen Fachausdrücken und mit der Sprache der Hüttenleute auf. Gichtbühne, Konverter, Hüttenflur, Kaue, Block und V-Anlage waren für uns keine Fremdwörter, wenn wir auch nicht genau wußten, was dort im einzelnen vor sich ging. Gebannt lauschten wir den Gesprächen unserer Eltern und Großeltern, wenn sie über die Hütte sprachen, wenn Vater von Unter Tage und Großvater von der Gichtbühne und der Kombibahn sprachen.

All das wird mir in Ewigkeit im Gedächtnis bleiben, und in besonders traurigen Stunden denke ich oft an diese Erlebnisse aus meiner Kindheit zurück, immer mit der wehmütigen Gewißheit, daß diese Zeit nie mehr wiederkehren wird. So wie unsere Lieben gestorben sind und in unseren Herzen weiterleben, so lebt auch sie in unseren Herzen und Gedanken weiter, die große Mutter und Fürsorgerin unserer Stadt und unserer Region - unsere gute Maxhütte! Möge sie dereinst genauso behandelt werden, wie sie einst uns behandelt und versorgt hat, und möge ihr eine würdige und ehrenvolle Zukunft beschieden sein.

Leb wohl, alte Hütte und ruhe in Frieden!

© Text: Markus Grünthaler, Foto: Harald Finster

Fotografien der Maxhütte finden Sie unter  Maxhütte 

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