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Feudalkultur Zum Umgang mit technischen Denkmalen in Deutschland |
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Südköllsche Stattpostille
11. Jahrgang Nr. 11/2003 Mittwoch 29 Februar
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Der Kölner Dom in Trümmern, Schloß Neuschwanstein gesprengt, die Wieskirche weicht einem Lebensmittel-Discounter... Fiktion? Nein! Bilder dieser Art sind in Deutschland tagtäglich Realität! Betroffen sind 'natürlich' nicht die Denkmale der Feudalkultur, also die Symbole von Macht und Einfluß, wie Kirchen und Schlösser, oder touristisch leicht vermarktbare 'romantische' Burgen, sondern technische Denkmale, wie Fördertürme, Hüttenwerke und Kokereien. Die wenigen technikgeschichtlichen Großdenkmale, einige haben es sogar zu UNESCO-Weltkulturerbe-Ehren gebracht, sind Ausnahmeerscheinungen, die darüber hinwegtäuschen (sollen?), daß derzeit eine unvergleichliche Abrißwelle über Deutschland hinwegrollt. Während auf der einen Seite Milliardenbeträge in die Berliner Museumsinsel gepumpt werden, während ein Betrag von 400000 Euro allein für die Vermessung von Neuschwanstein als 'preisgünstig' erachtet wird, fallen unwiederbringliche technische und architektonische Denkmale dem Fortschrittsglauben der Macher zum Opfer. Da werden die landschaftsprägenden Schornsteine des Kraftwerks Vockerode 'aus Kostengründen' gesprengt, die Abraumförderbrücke AFB18 in Zwenkau, eine der weltweit größten beweglichen Stahlkonstruktionen, wird vernichtet und auch im Ruhrgebiet wird plattgemacht: Eine der letzten alten Kohlenwäschen des Ruhrgebiets wird auf der Zeche "Ewald Fortsetzung" in Oer-Erkenschwick barbarisch zerstört, und nur wenige Tage später verschwindet dort mit dem Förderturm nicht nur eine stadtbildprägende Landmarke, sondern auch ein einmaliges Zeugnis der Technikgeschichte. Das System der Scheibenbremse wurde hier erstmals erfolgreich an einer Großfördermaschine eingesetzt. Daß sogar denkmalgeschützte Gebäude dem Abrißwahn zum Opfer fallen könnten, schien mir unmöglich. In Essen geschah es dennoch: Von der ehemaligen Zeche "Kunstwerk" und ihrem Schachtgebäude, wo Franz Dinnendahl wahrscheinlich sein neuartiges Pumpsystem "Kunstwerk" einsetzte, blieb nur der Straßenname. Mit der Maxhütte in Sulzbach-Rosenberg wird demnächst ein weiteres Highlight der Industriegeschichte für immer verschwinden. Die Anlage, deren Ursprünge in der Mitte des 19. Jahrhunderts liegen, umfaßt neben den Hochöfen aus den 50er und 60er Jahren mehrere um 1910 gebaute Walzenzugmaschinen, die mit ihren 10000 PS zu den leistungsstärksten Kolbendampfmaschinen der Welt zählen. In Lübeck Herrenwyck entstand auf dem Areal des ehemaligen Hüttenwerkes ein neues Industriegebiet. Der Vorschlag, die neu angelegten Straßen nach den im Werk tödlich verunglückten Arbeitern zu benennen, wurde von den Behörden mit der Begründung abgelehnt, daß Straßen nur nach 'bedeutenden Persönlichkeiten der Zeitgeschichte' zu benennen seien. All diese Beispiele - die Liste ließe sich beliebig verlängern - sind symptomatisch für eine Attitüde, die der 'gemeinen' Arbeitswelt noch immer jeglichen Bezug zu Kultur und Geist aberkennt. Da regen sich die selbsternannten Hüter der Kultur darüber auf, daß Horden fanatischer Taliban eine Reihe von Buddha-Statuen sprengen, während hier vor unserer Haustür die Wurzeln unserer eigenen Kultur in barbarischer Weise unwiederbringlich ausradiert und durch architektonische Monotonie ersetzt werden. George Orwells Vision von der 'Korrektur der Geschichte' ("1984") wird zur bedrückenden Realität: Deutschland ist nie ein Industriestaat gewesen. So werden also die Archäologen der Zukunft vergeblich nach den Fundamenten unserer Industriegesellschaft suchen. Wesentliche Lücken sind bereits heute deutlich: so ist in Deutschland beispielsweise kein einziges Exemplar gebänderter Hochöfen erhalten geblieben, einer wichtigen technologischen Zwischenstufe vom vollständig gemauerten Ofen zu den heute üblichen komplett stahlummantelten Hochöfen. Den vorläufigen geistigen Tiefpunkt bildet wohl der in der Süddeutschen Zeitung erschienene Artikel "Dunst von gestern" (SZ, Kersten Knipp, Montag 27.01.2003), der die alten Phrasen von der zukunftsorientierten, auf Handel, Banken und Versicherungen basierenden Angestelltengesellschaft gebetsmühlenhaft wiederholt. Wo werden denn die von den Versicherungen abgesicherten Werte erzeugt? Woher kommen die gehandelten Produkte, woher der Gegenwert zu dem von den Banken verwalteten Geld? Den architektonischen Zeugnissen der Industrialisierung spricht er jegliche identifikationsgebende Funktion ab. Wozu brauchen wir die denn auch? Der zeitgemäße Konsument findet seine Identität in zeitgemäßen Produkten: im mega-coolen Handy, im hochglanzpolierten Off-Roader, ja selbst im Burger-Fraß - nur trendy muß es sein. Ich habe selten eine derart primitive Propaganda für eine wertfreie Konsumgesellschaft gelesen! Der naive Glaube an die 'neue Ökonomie', an eine 'zukunftsorientierte Dienstleistungsgesellschaft', wurde doch wohl bereits durch das Platzen der Nemax-Blase im vergangenen Jahr gründlich erschüttert. Ein Management, das nur die kurzfristige Maximierung des shareholder-value anstrebt, wird mit dem Transfer von Produktionsanlagen nach Fernost zunächst große Erfolge verbuchen: kurzfristig bringt der Verkauf von High-Tech Geld in die Kassen, mittelfristig wird man aus den neuen Industriestandorten billige Produkte kaufen können, denn Umweltschutz spielt dort keine Rolle, die Löhne sind niedrig und das Wort 'Arbeitsschutz' unbekannt. Zum Wohle (eines kleinen Teils) unseres Volkes! Doch wie lange noch? Wann wird unsere von Produktionsanlagen 'gesäuberte' Dienstleistungs- und Verwaltungsökonomie vollständig von importierten Produkten (und Preisen!) abhängig sein? Wie lange noch werden sich Stahl- und Bergarbeiter der Entwicklungs- und Schwellenländer verheizen lassen? Wann wird man auch in Fernost erkennen, daß ungebremstes Wachstum ohne Rücksicht auf Mensch und Natur zu einem Krebsgeschwür wird? Zum Wohle (eines kleinen Teils) unseres Volkes? So wird also Helmut Kohls Vision von den 'blühenden Landschaften' wahr: die Standorte von Stahlwerken verwandeln sich in bunte Wiesen, dort, wo einst Kokereien standen, wuchert heute der Sommerflieder, und die Gleise der Güterbahnhöfe verschwinden unter Birkenwäldern. Es geht voran! LeserzuschriftenFolgende Leserzuschriften habe ich bisher zum Thema 'Feudalkultur' erhalten. (Sinnwahrende Kürzungen habe ich mit [...] gekennzeichnet.)
Hallo lieber Harald,
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